Eine Reise in die Provence

Herzlich willkommen!

Ich möchte Ihnen auf meiner kleinen Internetpräsenz meine Erlebnisse aus der Provence näherbringen, die ich in meinem Buch „Café du Centre“ gesammelt habe.

Es ist kein Roman oder Reiseführer im klassischen Sinne. Es ist eine Sammlung von Begebenheiten und Beobachtungen, die ich im Land der Märkte und des „Savoir vivre“ machen durfte.

„Wir verwirklichen unseren Traum, verlassen für neun Monate Deutschland und wollen in der Provence im Departement Haut Vaucluse leben, angeregt durch einige vorangegangene Reisen in den Süden Frankreichs und durch die Lektüre von Marcel Pagnol und Peter Mayle.

Kein Bedenken, kein Schwachwerden vor dem, was vor uns liegt, was auf uns zukommt; nein, wir fahren in eine wunderschöne Region Frankreichs, um in zwei kleinen Dörfern unter und mit Franzosen zu leben. Wir wollen während unseres langen Aufenthalts die verschiedenen Jahreszeiten erleben, tiefer in das alltägliche Leben der Franzosen, der Provenzalen eintauchen, die Menschen und ihr Leben intensiver kennenlernen, als es bisher auf unseren Provence-Reisen möglich war, das schließt auch das Kennenlernen provenzialischer Sitten und Bräuche mit ein, wann immer sich eine Möglichkeit bietet.

Eine Winzerfamilie, vor allem Mutter und Tochter, hat unser Anliegen von Anfang an verstanden.

Und da ist noch etwas, was wir uns vorgenommen haben: Unser Aufenthalt soll zeichnerisch und schriftlich zu einer bleibenden Erinnerung werden. Herausgekommen ist dieses Buch.“

Neugierig geworden?

Dann kommen Sie mit auf unsere Reise in die Provence!

Ihr

Meine Vita

1943 in Dresden geboren

ab 1946 aufgewachsen in Lüdenscheid-Brügge

Abitur am Zeppelin-Gymnasium Lüdenscheid

Lehramtsstudium an der Ruhr-Universität Bochum in den Fächern Deutsch und Sport

nach dem 2. Staatsexamen 35 Jahre Lehrer
am Anne-Frank Gymnasium Halver

2014 erscheint die Erstauflage „Café du Centre“ in der Westfälischen Reihe, Münster

In den Jahren 2014 – 2018 folgen mehrere Lesungen u.a. in Hamm und an verschiedenen Orten in Münster

2024 erscheint die Neuauflage „Café du Centre“ mit neuen Geschichten und Zeichnungen im Selbstverlag (ISBN: 978-3-00-076855-2. Preis: 19.00 EUR)


Leseprobe

Wie alles begann

Wir sind mit unserem Auto auf dem Weg nach Frankreich, in die Provence, haben in der Gemeinde Sérignan-du-Comtat, die im Départment Vaucluse liegt, für zwei Wochen eine Ferienwohnung gebucht. Wir freuen uns auf den Frühling, wollen die Mandel- und Kirschblüte erleben, die französische Küche genießen, Dörfer, Städte, Märkte und Museen besuchen. Die Provence ist schon mehrfach unser Reiseziel gewesen und seit einigen Jahren spielen wir mit dem Gedanken, ein ganzes Jahr dort zu leben. Wir sind beide vom Beruf unabhängig.

„Warum nicht jetzt schon!”, höre ich auf einmal Ria sagen. Sie richtet sich im Sitz auf, sie hat wohl doch nicht geschlafen.

„Ein Jahr in der Provence leben. So wie Peter Mayle es erlebt und in seinem Buch ‚Mein Jahr in der Provence‘ beschrieben hat. Wir sind doch jetzt bereits auf dem Weg in die Provence und könnten nach einer geeigneten Unterkunft suchen, vielleicht mit einem unterschriebenen Mietvertrag wieder nach Hause fahren. Allerdings mit einer kleinen Einschränkung: Du erinnerst dich, dass das Ruhrgebiet im nächsten Jahr Kulturhauptstadt Europas wird und am 18. Juli die Autobahn A 40 zwischen Dortmund und Duisburg komplett für den Autoverkehr gesperrt und für die Öffentlichkeit geöffnet wird, und das möchte ich, ein Kind aus dem Ruhrgebiet, erleben. Ich möchte mit dir mit unseren Fahrrädern über die A 40 fahren“! Von mir kommt kein Einwand.

Wir haben kein Navigationsgerät im Auto, nur die Adresse unserer Ferienwohnung; also fragen wir nach dem Weg und stehen später vor einem freistehenden fensterlosen Haus am Rand des Ortes vor einem verschlossenen hohen Eisentor mit Klingel und Gegensprechanlage.

„J´arrive!“, erklingt eine Frauenstimme und das Tor öffnet sich automatisch. Madame steht in der Toreinfahrt und zeigt auf einen Platz für unser Auto. Gerade noch haben wir eine fast abweisende fensterlose Hauswand von außen gesehen und jetzt blicken wir in einen großen Garten mit Bäumen, Sträuchern, Blumenbeeten, Gartenstühlen mit Tisch und Sonnenschirm. Hinter dem Garten öffnen sich Weiden mit Pferden. Die Rückseite des Hauses besteht aus Bruchsteinen mit Fenstern und bodentiefen Glastüren, davor liegt eine Terrasse. Alle Holzfensterläden sind in einem Lavendel-Farbton gestrichen.

Madame begrüßt uns auf eine liebenswerte Art und Weise; stellt sich vor und erkundigt sich direkt nach dem Verlauf unserer Anreise. Dann begleitet sie uns zur Ferienwohnung im Nebengebäude. Wir betreten einen Raum mit offener Küche, Esszimmermöbeln und einem alten Ziehbrunnen. Über eine Steintreppe erreicht man die erste Etage. Es gefällt uns. Madame bittet uns, später zum Apéritif zu ihr zu kommen.

Ihr Haus ist mit viel Fantasie großzügig eingerichtet. Ein großer Kamin und wertvolle Kunst an den Wänden sind auffällig. Sie erzählt über ihre Sammelleidenschaft und wir erfahren viel über die Herkunft der Bilder. Während unseres Gesprächs stelle ich fest, dass meine Französischkenntnisse trotz einiger VHS-Kurse doch nicht so umfassend sind. Ich verstehe aber viel. Ria hat keine Probleme mit der Verständigung.

Unsere Gastgeberin möchte von uns wissen, warum wir die Provence gebucht und was wir im Urlaub für Pläne haben. Wir erklären ihr, was wir ursprünglich vorhatten und dass dieser Plan eine ganz spontan getroffene Änderung erfahren habe. Sie hört aufmerksam zu und fragt dann, ob wir schon einen Plan haben, wie wir unser Vorhaben umsetzen wollen. Wir verneinen und verweisen darauf, dass dafür die Zeit zu kurz gewesen sei.

Der neue Plan lässt uns nicht mehr los, auch nicht beim Essen in einem kleinen Restaurant. Unsere Gedanken kreisen, ständig kommen wir auf neue Ideen für unser Vorhaben, die Ria notiert. Wir wollen uns nicht verzetteln, brauchen ein Konzept für die Suche nach einer Ferienwohnung oder einem Haus. Uns fällt ein, dass wir auf Bekanntes zurückgreifen könnten, denn wir haben vor ein paar Jahren mit Freunden in Ste. Cécile-les-Vignes, das liegt nicht weit von Sérignan-du-Comtat entfernt, in einem schönen großen Haus gewohnt. Das war im Herbst. Es hat uns dort sehr gut gefallen. Wir könnten die Vermieter, Fabres, fragen, ob uns ihr Haus zur Verfügung steht. Ria ruft sofort an, sie hat die Nummer sogar noch gespeichert. Die Anrufe bleiben zunächst erfolglos, später erreichen wir Lorette, die Tochter. Als sie Rias Stimme hört, sprudelt sie gleich lebhaft los. Ihre Eltern sind nicht zu Hause; sie sind verreist und kommen erst in einer Woche wieder zurück. Wir verabreden, uns in einer Woche noch einmal zu melden. Bis dahin sollten wir aber weiter suchen, falls Fabres uns absagen.

Wer kann uns bei der Suche nach einem zu mietenden Haus oder einer Ferienwohnung gezielt weiterhelfen? – Das Office de Tourisme in der Stadt Orange? Dort treffen wir bestimmt geschultes Personal an, das uns bei unserem Vorhaben unterstützen kann. Dort werden wir auch Kataloge mit Angeboten vorfinden. Sollten wir in Orange keinen Erfolg haben, müssen wir noch andere Tourismusbüros in anderen Regionen anfahren.

Die Kriterien für unsere Suche sind schnell erstellt: Ort, Ortslage, Ausstattung, Zeitraum der Vermietung und Preis.

Die Idee mit dem Tourismusbüro von Orange ist ein Volltreffer. Jetzt liegen viele Kataloge, Broschüren, Fachzeitschriften und Flyer vor uns auf dem Tisch eines Bistrots. Es kommt eine Menge Arbeit auf uns zu: Suchen, suchen, blättern, blättern, um Objekte zu finden, die in unser Raster passen.

Wir teilen das Material auf und sichten es getrennt. Im Laufe der Zeit entsteht bei jedem eine Liste von möglichen Objekten, die wir dann gemeinsam durchgehen und mit einer Rangliste versehen. Die Suche nach einer Ferienwohnung haben wir schnell verworfen. Das Angebot hat uns nicht überzeugt. Wir suchen ab jetzt nur noch nach einem Ferienhaus; die Anzahl der angebotenen Häuser ist überschaubar.

In den nächsten Tagen fahren wir viele Kilometer mit dem Auto ab und gewinnen schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit wichtige Erkenntnisse. Nicht jedes Objekt entspricht der Beschreibung mit oder ohne Foto im Katalog. Aber die Preisvorstellungen der Vermieter purzeln sprichwörtlich in den Keller, wenn sie erfahren, dass wir ab Oktober neun Monate mieten wollen. Das eine oder andere Objekt gefällt uns, aber wir legen uns noch nicht fest, wollen weiter suchen. Nur nicht unter Druck setzen lassen, schließlich wollen wir in dem Haus neun Monate wohnen und uns wohlfühlen.

Und was hat unsere nette Vermieterin in Sérignan-du-Comtat in der Zwischenzeit unternommen? Sie hat im Internet gesucht und ein Haus in der Nähe von Roussillon gefunden, was sie uns ganz stolz zeigt. Uns ist die Gegend von Roussillon mit den Ockerfelsen gut bekannt. Wir werden uns das Haus ansehen und vielleicht in Gordes und Roussillon vorbeischauen; es sind zwei Bilderbuch-Orte. „Mir ist aber noch etwas eingefallen, was euch bei der Suche weiterhelfen könnte. Ich kenne ein nettes Ehepaar aus Deutschland, das vor kurzem ein Haus in Sérignan-du-Comtat gekauft hat, das ihr vielleicht mieten könnt. Ihr müsst sie unbedingt kennenlernen. Sie sind gerade vor Ort. Ich rufe mal an, dann könnt Ihr mit Ihnen persönlich sprechen“. Eine Vermietung ist leider nicht möglich, wie wir erfahren. Im Haus sind noch wichtige Arbeiten durchzuführen.

Wir stehen vor dem Tourismusbüro von Vaison la Romaine. Die Tür ist verschlossen. MITTAGSPAUSE!

Bleiben uns also noch fast zwei Stunden, um uns in der Stadt umzusehen.

Sie liegt an der Ouvèze und hat viel zu bieten: Ein römisches Ausgrabungsgelände mit einem Amphitheater am linken Ufer der Ouvèze; eine hohe Römerbrücke, die den Fluss überspannt und auch den Weg zur steil aufsteigenden mittelalterlichen Altstadt mit Burgruine, auch Oberstadt genannt, ermöglicht. Am Rande des unteren Ausgrabungsfeldes steht die Cathédrale Notre-Dame-de-Nazareth, deren Baubeginn auf das 12. Jahrhundert zurückgeht.

Die wärmende Frühjahrssonne hat uns in das Zentrum von Vaison begleitet. Wir treffen auf einen quadratischen Parklatz, der von Cafés, Bistrots und Restaurants umgeben ist, die um diese Zeit gut besucht sind. Man genießt Essen und Trinken in der Sonne. Wir entschließen, auch so zu handeln, finden einen freien Tisch und nach einem Blick in die Karte kommt fast automatisch der Appetit auf leckere Salate mit dem obligatorischen Baguette. Ein Espresso rundet das Ganze harmonisch ab.

In einem Jahr wird der Platz kein Park- und kein Marktplatz sein. Die Stadt wird ihn für archäologische Ausgrabungen einige Monate sperren und ein freigelegter römischer Waschplatz wird zu einem öffentlichen und medialen Ereignis. Davon wissen wir jetzt noch nichts.

Zwei Stunden später sind wir wieder im Tourismusbüro, haben uns mit Material eingedeckt. Die Kriterien haben sich nicht geändert, nur der örtliche Einzugsbereich unserer Suche ist anders als der in Orange, da wir in einer anderen Region sind. Wir greifen auf eine Landkarte dieser Region zurück, um die Orte der Häuser zu finden.

Im Ort Villedieu wird ein Haus angeboten, nicht weit von Vaison entfernt. Die Beschreibung des Hauses und die Fotos dazu sind vielversprechend. Ria findet auch eine Telefonnummer, ruft sofort an, erreicht aber auch nach weiteren Versuchen niemanden. Eine Angestellte spricht uns an. Sie weiß, dass wir etwas Bestimmtes suchen und hat wohl unsere telefonischen Fehlversuche bemerkt. Wir erklären kurz, was wir gefunden haben und dass unser Interesse an diesem Haus in Villedieu groß sei. „Kein Problem! Ich werde solange die Nummer wählen, bis ich jemanden erreiche. Hinterlegen Sie bei uns Name und Handynummer, dann kann der Besitzer des Hauses Sie anrufen“. Sehr nett, so könnte es gelingen.

Auf dem Weg zu unserer Ferienwohnung in Sérignan fahren wir noch zu einer anderen Adresse. Wir haben uns telefonisch zur Besichtigung angemeldet. Die Beschreibung aus dem Katalog klingt gut, die Fotos haben allerdings wenig Aussagekraft. Wir finden das Haus ganz in der Nähe der oberen Ausgrabungsstätte von Vaison: ein altes Haus mit vielen Zimmern, einer steilen Steintreppe in die erste Etage. Es ist für unser Vorhaben aber nicht geeignet, da es nur bedingt geheizt werden kann. Die einzige Wärmequelle besteht aus einem offenen Kamin.

Gegen Abend erreicht uns tatsächlich ein Anruf aus Villedieu. Die Hausbesitzerin meldet sich. Ria erklärt Madame, was wir vorhaben und erkundigt sich, ob wir das Haus für neun Monate mieten können. Es gibt eine positive Nachricht: Das Haus ist für den Zeitraum noch frei. Wir vereinbaren den Tag und die Uhrzeit, um das Haus zu besichtigen. Ist das der Durchbruch?

(…)

Wir stehen auf dem zentralen Dorfplatz von Villedieu und warten auf Madame. Wir wollen gemeinsam ihr Haus besichtigen. Wir wissen nicht, wo es steht, haben wohl eine Vermutung, aber mehr auch nicht. Madame kommt zu Fuß, begrüßt uns und entschuldigt sich für ihre Verspätung. Sie biegt mit uns in die Grand´ Rue ab und schon nach kurzer Zeit bleiben wir vor einem hoch aufragenden Haus ohne Hausnummer stehen.

„Voilà, wir sind schon da! Treten Sie bitte ein!“

Mit einem Schritt vom Straßenrand durch die Haustür stehen wir unmittelbar im Haus, in einem Raum mit offener Küche und Wohnbereich. Haus und Straße gehen also gewissermaßen ineinander über. Madame führt uns durch das ganze Haus, erklärt hier und da etwas. Was wir auf drei Etagen zu sehen bekommen, gefällt uns: geschmackvolle Einrichtung, Raumaufteilung, Dachterrasse, alles passt. Wir sehen uns an, unsere Blicke sagen eindeutig: Das Haus mieten wir, wenn es bezahlbar ist.

„Madame, wir sind beeindruckt. Wir möchten es mieten, wenn wir den Preis kennen“. „Das können wir bei mir zu Hause besprechen, mein Mann wird auch dabei sein. Wenn alles stimmt, können wir auch gleich einen Mietvertrag aufsetzen“.

Wir sitzen mit den Hausbesitzern zusammen. Madame erklärt, sich mit ihrem Mann wegen des Preises schon beraten zu haben und nennt uns die runde Summe, die Wasser und Strom beinhaltet. Der Preis ist interessanterweise identisch mit dem von Fabres Haus.

„Madame, es ist ein fairer Preis, wir akzeptieren ihn. Wir möchten das Haus aber nur noch ab März für vier Monate mieten. Geht das und auch zum gleichen Preis?“

Madame ist etwas irritiert, sie war von neun Monaten ausgegangen, wie es ursprünglich von uns ja auch geplant war. Wir erzählen ihr, wie es dazu gekommen ist, dass wir zunächst in Ste. Cécile bleiben.

Das Gespräch ist unterbrochen, es entsteht eine längere Pause. Geht noch etwas schief? Madame und Monsieur reden ganz offen miteinander, während wir dabei sind. Sie führen fast identisch die Argumente an, wie wir sie beim Ehepaar Fabres gehört haben. Es ist wieder still im Raum. Dann kommt das Wort: „d´accord“! Sie hat es gerade ausgesprochen, da geht sie auch schon in einen Nebenraum und kommt wenig später mit einem ausgefüllten Mietvertrag zurück. Wir überfliegen ihn, sehen die wichtigsten Angaben korrekt notiert und unterschreiben ihn. Ich spüre eine riesige Erleichterung, Freude pur; Ria strahlt auch.

Es gibt noch ein Gläschen Wein, eine schöne Geste von Madame. Wenig später verabschieden wir uns und versprechen, uns wieder zu melden, wenn wir im Herbst in Cécile sind.

Wir sind euphorisch, aufgedreht. Wir malen uns schon aus, wie wir in den beiden Häusern leben. Wir sind der Erfüllung unseres Traums ganz nah.

In Sérignan angekommen, müssen wir unserer Vermieterin natürlich sofort alles erzählen. Sie freut sich ganz offensichtlich mit uns.

Ein paar Tage später unterschreiben wir auch den Mietvertrag bei Fabres. Josiane übernimmt größtenteils den Text aus unserem Vertrag aus Villedieu.

Mal ehrlich, haben wir vor knapp vierzehn Tagen daran geglaubt, mit zwei unterschriebenen Mietverträgen für zwei Häuser wieder nach Hause zu fahren?

Sicherlich nicht, aber bei uns muss man mit allem rechnen.

Leseprobe 2

Der schwarze Diamant

Da gab es doch noch etwas, was wir immer schon einmal kennenlernen wollten, wenn wir für eine längere Zeit in der Provence leben und dann auch noch während der kalten Jahreszeit. Genauer noch in der Zeit, wenn in der Provence Trüffelzeit ist. Noch genauer: In der Zeit von Ende November/Anfang Dezember bis…ja, das kommt ganz darauf an, wie kalt bzw. wie intensiv der Winter ist. Ja, wir haben es erlebt, wie der für provenzalische Verhältnisse harte Winter die Trüffelsaison beeinflusst hat. Aber alles schön der Reihe nach.

Wie sich das für einen bildungshungrigen Menschen gehört, habe ich mich mit einschlägiger Reiseliteratur auch rund um das Thema „Trüffel“ eingedeckt. Viel Material kommt da zusammen, vor allem unter dem Stichwort „Trüffel“. So viele Details, Fachbegriffe. Bei Trüffeln handelt es sich um knollige Pilze, die unterirdisch wachsen, meistens unter Eichen, Trüffeleichen. Die Wurzeln der „Pilze“ und der Eichen leben in einer Symbiose. Das Angelesene hat meine Neugier noch gesteigert. Zusätzliches Material finde ich in Broschüren, Faltblättern, auf Handzetteln, frisch aus der Maison de la truffe et du Tricastin in St.-Paul-Trois-Château und aus verschiedenen Offices de Tourisme, gespickt mit Terminen über Trüffelmärkte oder Veranstaltungen rund um das „Schwarze Gold“. Die Trüffelsaison kann kommen, ich bin gerüstet.

Mitte November erscheint ein Artikel mit Bildern in der Tageszeitung La Provence: „Eröffnung der Trüffelsaison am 21. November in Richerenches.“

Richerenches!? Über diesen Ort habe ich in der Reiseliteratur schon etwas gelesen. Ein kleiner Ort im Département Drôme, der Templerorden gründete hier im 12. Jh. eine Komturei, ein Ordenshaus. Ein rechteckig angelegter Ort, den eine Stadtmauer mit vier Rundtürmen umschließt; in Kirchennähe stehen beeindruckende Überreste eines alten Templer-Gotteshauses. Auf der Landkarte muss man schon genau hinsehen um den Ort zu finden, aber für die Trüffel, die Trüffelernte, den Trüffelmarkt, den Trüffelliebhaber ist er von besonderer Bedeutung. Hier findet während der Trüffelsaison jeweils samstags der wohl größte und bedeutendste Markt Frankreichs für die echte schwarze Trüffel (Tuber Melanosporum) statt. Die Trüffelbauern bieten hier ihre Ware Trüffelaufkäufern, Großhändlern an, die die Sternerestaurants und Feinkostgeschäfte in ganz Frankreich beliefern. Ein Großteil der Trüffelernte geht direkt in den Export in die ganze Welt. Richerenches, der Hauptumschlagplatz des Schwarzen Diamanten. Das muss ich doch sehen, vor allem die Zeremonie zur Eröffnung der Saison, groß in der Presse angekündigt.

Samstag, der 21. November. Ich will pünktlich um 10 Uhr in Richerenches sein; denn dann wollen sich die Mitglieder der Confrérie des Chevaliers du Diamant Noir (Bruderschaft der Ritter des Schwarzen Diamanten) vor der Kirche treffen.

Später als geplant, aber wohl nicht zu spät, stoße ich in der Nähe der Kirche auf einen Menschenzug der besonderen Art. Ich drücke mich wie viele andere Schaulustige und Neugierige dicht an eine Hauswand; denn links und rechts des Zuges bleibt nur wenig Platz für das Publikum, das diesen Moment nicht verpassen will. Wir sehen Männer und Frauen, die in Reih und Glied gehen, schwarz gekleidet: großer breitkrempiger Hut, langer Mantel, einem schwarzen Umhang gleichend, der beinahe an den Boden reicht; eine Plakette oder eine Medaille tragen sie an einem langen, breiten, goldgelben Band um den Hals. Im Zug, Männer und Frauen, unterschiedlichen Alters. Vornweg, an der Spitze des Zuges, ein Mann mit einer Standarte, die er in einer Vorrichtung vor dem Bauch trägt. Auf der Standarte, aus goldgelbem Stoff angefertigt, Schriftzüge in Schwarz: La Confrérie des Chevaliers du Diamant Noir. Direkt hinter der Standarte, in der Mitte der ersten Reihe, der Präsident der Vereinigung.

Die Mitglieder der Trüffel-Vereinigung scheinen sich des historischen Moments des Umzugs ganz bewusst zu sein. Gemessenen Schrittes ziehen sie durch die schmale, enge Straße an mir und anderen Beobachtern vorbei. Ich löse mich aus meiner festen Beobachterposition und reihe mich ein die Menschenmenge, die dem Umzug folgt. Kameras aller Art sind im Anschlag, Blitzlichter aus allen Richtungen; ein Kameramann vom französischen Fernsehsender TF1 hat sich so in den Umzug postiert, dass die Mitglieder links und rechts an ihm und seinem Objektiv hautnah vorüberziehen müssen. Andere Besucher des Schauspiels, auch Japaner, stehen erhöht auf einem steinernen Treppenaufgang am alten Stadttor mit Uhrturm. Von hier bietet sich ihnen bestimmt ein guter Überblick über das Geschehen. Nicht schlecht, ein Logenplatz, und auch noch gratis.

Der Zug verlässt durch das Stadttor den alten Ortskern. Ihm folgen immer mehr Zuschauer. Die Zugspitze biegt jetzt in eine Allee ein, links und rechts von Platanen gesäumt, zwischen ihnen aufgereiht Autos, alle irgendwie nach einem bestimmten Prinzip angeordnet, die Autohecks der Alleestraße zugewandt und teilweise geöffnet.

Ich gehe an den geparkten Fahrzeugen vorbei ohne genau zu wissen, was das zu bedeuten hat. Ich sehe Menschen, die sich in der Nähe der Autos aufhalten, sehe, wie sie interessiert in die Autos schauen, miteinander sprechen, gestikulieren. Ich gehe weiter mit der Menschenmenge, die dem Umzug folgt. Am Ende der Allee löst sich der Umzug auf. Auf einem Plakat an einer Platane lese ich, dass um 12 Uhr auf dem Platz vor der Mairie von Richerenches durch den Präsidenten der Trüffelvereinigung offiziell die Eröffnung der Trüffelsaison bekannt gegeben wird. Richtig, ich habe beim Einbiegen in die Platanenallee vor dem Rathaus eine Tribüne gesehen, direkt daneben ein Fahrzeug von der mobilen Redaktion der Tageszeitung La Provence, die an diesem Tag selbstverständlich anwesend sein muss.

Wo aber bitte schön findet denn nun der Trüffelmarkt statt? Ich habe nichts, aber auch gar nichts gesehen, was nach Markt mit Marktständen usw. aussieht. Wohl Stände vor der Stadtmauer, aber die gehören zum Wochenmarkt, der samstags im Ort abgehalten wird. Ich stehe mit vielen Menschen dichtgedrängt auf der Alleestraße und bin ganz gespannt, wie es weiter geht. Bewegen sich die Menschen jetzt schon zur Tribüne um einen guten Platz für die offizielle Eröffnung zu haben? Ich beobachte vor allem die in schwarz gekleideten Menschen, die Mitglieder der Bruderschaft. Wohin gehen sie? Was unternehmen sie bis 12 Uhr?

Nicht weit von mir entfernt hat sich eine Menschentraube um eine Reporterin eines Fernsehteams gebildet; sie interviewt einen stattlich aussehenden Mann aus der Trüffelbruderschaft. Ich kann leider nicht hören, was er auf die Fragen antwortet, ich stehe zu weit weg vom Geschehen.

Aber ich sehe eine Frau, die mir aufgefallen ist, weil sie eine bunte Plastiktüte in der Hand hält. Sie bewegt sich auf eines dieser quergestellten Autos mit geöffnetem Heck zu. Dort steht ein Mann, der das Geschehen auf der Allee scheinbar unbewegt beobachtet. Sein Verhalten verändert sich aber von einem auf den anderen Moment, als er die Frau mit der Plastiktüte wahrnimmt. Ein flüchtiges Lächeln fliegt über sein Gesicht. Ich will wissen, was sich da anbahnt, bin neugierig geworden, lasse die Szene nicht aus den Augen, folge der Frau mit der Plastiktüte, dabei muss ich einigen Personen ausweichen, weil ich mich quer zum Menschenstrom bewege. Die Frau begrüßt den Mann, öffnet die Plastiktüte, der Mann wirft einen Blick hinein. Na klar, schießt es mir durch den Kopf, in der Tüte können doch nur Trüffel sein, von der Frau oder von wem auch immer gesammelt und die will sie jetzt an einen Händler verkaufen!

(…)

Es folgt eine Lautsprecherdurchsage: „In wenigen Minuten erfolgt die offizielle Eröffnung der Trüffelsaison auf der Tribüne vor der Mairie“. Schnell füllt sich der kleine Platz vor der Tribüne, die Menschen stehen dicht gedrängt. Auf der Tribüne hat sich die Bruderschaft mit Standarte aufgebaut; flankiert von Landsknechten in bunter Uniform. Auftritte dieser Art werde ich während meines Aufenthalts in der Provence noch öfter erleben. Da feiern verschiedene Bruderschaften ihre Feste mit großer Eröffnungszeremonie: die Confrérie de la figue longue noire (Feigenbruderschaft), Confrérie de la cérise (Kirschenbruderschaft), … de l´ail (Knoblauchverein), … de la fraise (Erdbeerbruderschaft), … des vignerons (Winzerverein), … du plant de vigne (Rebenverein), … de l´asperge (Spargelverein),… Die lokalen Zeitungen berichten darüber ausführlich, das ist Tradition, Franzosen mögen so etwas.

Auftritt und Kurzansprache von Monsieur le Maire (Bürgermeister) von Richerenches, Begrüßung der Bruderschaft, der Einwohner und Gäste. Ihm folgt der Präsident der Trüffelbruderschaft, der nach seiner Begrüßung die Bedeutung dieses Tages für den Ort, für die Region noch einmal besonders hervorhebt und indem er die Hoffnung ausspricht, es möge eine gute Trüffelsaison werden, eröffnet er gleichzeitig die Saison. Applaus! Nicht überschwänglich, eher förmlich, professionell.

Die Menschenmenge löst sich auf, orientiert sich in Richtung Trüffelmarkt-Allee und der Straße mit dem Wochenmarkt. Schnell stelle ich fest, der Wochenmarkt hat einen ganz bestimmten Schwerpunkt: Na klar, viele Angebote haben mit der Trüffel zu tun; ist doch auch naheliegend. Frische Trüffel, Trüffel-Öl, Pasta mit Trüffel. Ein Stand bietet etwas Besonderes, für mich jedenfalls: Lou-Cavadou, eine kleine Spitzhacke, ein spezielles Werkzeug, mit dem der Trüffelsucher die Trüffel aus dem Erdreich ausgräbt, sobald der Trüffelhund angeschlagen hat; Trüffelschweine werden in der Provence selten bei der Suche eingesetzt. Ein anderer Stand bietet die Trüffeleiche als Junggewächs an, auch andere Eichenarten und Pflanzen. Ich finde auf diesem Wochenmarkt das Warenangebot, wie es in der Provence üblich ist, nur, dass es dort nicht die vielen Trüffelprodukte gibt.

Ich spüre meinen Magen, er ist leer, das Warenangebot verlockend. Gleich hinter den Marktständen eine Bar, Restaurant du Commerce. Das Tagesgericht steht auf einer Schiefertafel (Ardoise): Omelette des truffes avec salade, wenn das keine Aufforderung ist, heute, am Eröffnungstag der Trüffelsaison, eine klassische Trüffelspeise. Jetzt noch einen freien Platz finden, tatsächlich, da gibt es noch einen freien Tisch vor dem Restaurant, in der hellen Wintersonne; fein, das passt doch.

Um mich herum das strahlende Leben: Novembersonne, froh gestimmte Menschen, hauptsächlich wohl Franzosen, junge und alte, buntes Markttreiben, ein Stand mit Austern, Muscheln, Wein und Champagner. „Savoir-vivre“, für die hier anwesenden Menschen etwas Normales; sie verstecken sich nicht, sie zeigen es ganz natürlich. Ich erkenne somit auch nichts Snobistisches in ihrem Verhalten.

Ich warte ganz gespannt auf mein Omelett mit Trüffeln. Es ist für mich das erste, was ich essen werde. Wie wird die Trüffel schmecken? Ich nehme einen Schluck aus meinem Weinglas, trockener Weißwein, köstlich. Wird er auch zum Trüffelgericht passen? Vor mir wird ein ovaler Teller mit dem Trüffel-Omelett abgestellt, dazu ein kleiner Salat und das obligatorische Baguette, kleingeschnitten in Scheiben. „Bon appétit“, höre ich noch von der Serviererin, schon ist sie wieder weg; es gibt für sie noch viel zu tun.

Was sehe ich auf meinem Teller? Ein Omelett, das eine etwas andere Konsistenz hat, als ich sie von unserem Rührei oder Omelett kenne. Die Ei-Masse nicht so fest, eher noch etwas flüssig, in der Pfanne vielleicht nur geschoben, nicht gerührt. In der Masse eindeutig auszumachen die Trüffel, in kleinen Stückchen bzw. hauchdünnen Scheiben in die Ei-Masse eingearbeitet und obenauf gestreut, das Ganze mit viel Petersilie abgerundet. Ich schmecke die Trüffel deutlich heraus: knackig bis zart in der Konsistenz, leicht nussig und nach Waldhumus schmeckend. Hatte ich einen dominanteren Trüffelgeschmack erwartet? Er hält sich vornehm zurück. Ist das normal oder liegt es an der Trüffel? Vielleicht gibt es auch große qualitative Unterschiede. Wenn es nicht mein letztes Trüffelgericht ist, werde ich es herausfinden. Der Wein passt vorzüglich. Der Teller ist leer; der letzte Rest wird noch mit dem Baguette aufgewischt. Mein Urteil: Mein erstes Trüffel-Omelett hat mir geschmeckt, aber es hat nicht alle meine Erwartungen erfüllt!

Wochen später steht fest, dass ich am 21. November ein Trüffel-Omelett gegessen habe, das naja geschmeckt hat. Ich habe im Laufe der Saison viel bessere gegessen, vor allem die selbst hergestellten. Aber das war beim Start in die Trüffelsaison in Richerenches Nebensache. Ich habe die Eröffnung der Saison hautnah miterlebt für mich etwas Außergewöhnliches, ich habe es intensiv gespürt.

Richerenches ist der wohl bekannteste Trüffelmarkt, aber nicht der einzige in der Provence. In St. Paul-Troix Château habe ich später meine erste Trüffel gekauft. Aber das ist eine andere Geschichte.